Thomas Pels ist Antriebsingenieur. Als Verbrennungsmotoren in die Krise kamen, hatte er sein Team bereits auf Hybrid-Antriebe eingeschworen – und dabei selbst hartnäckige V8-Veteranen in seine Nerd-Crew integriert.
Von Michael Richmann
Als Thomas Pels 2003 antrat, den Automobil-Zulieferer AVL Schrick ins Zeitalter der Elektromobilität zu überführen, hat noch niemand an die Diesel-Affäre gedacht. Auch Fahrverbote in deutschen Großstädten schienen völlig absurd. Doch die Geschäftsleitung der AVL Gruppe hatte die Revolution bereits ausgerufen und Pels sollte sie umsetzen. Der Ingenieur ließ sich damals zusichern, dass er zunächst nur der Konzern-Zentrale in Graz berichten muss. Denn AVL hatte die 1969 gegründete Dr. Schrick GmbH erst kurz zuvor übernommen; und Pels, der sich in seinen Anfangstagen ohnehin „wie ein Alien“ vorkam, wollte nicht gleich alle gegen sich aufbringen. „So eine Firmen-Übernahme bringt ohnehin Unsicherheit für die Belegschaft mit sich. Und dann kommt da einer von außen, der gleich die Revolution anzettelt – das wäre wohl zu viel des Guten gewesen“, erzählt er 15 Jahre später in seinem Büro in Remscheid.
Pels hatte sich bereits seit 1999 für die Badener LuK GmbH mit Hybrid-Antrieben beschäftigt und sollte damit auch für AVL Schrick neue Kunden gewinnen und neue Geschäftsfelder erschließen. Das erste Hybrid-Konzept hatten seine Vorgänger zwar schon 1995 entwickelt, doch wie die gesamte Branche verdient auch AVL Schrick das meiste Geld mit Verbrennungsmotoren. Und plötzlich investierte die Geschäftsführung in Elektro-Techniker, Software-Entwickler und Physiker. „Natürlich haben wir uns auch schon vorher ständig weiterentwickelt: Wir konnten immer genauer berechnen, immer schneller konstruieren und immer pfiffiger testen. Aber zu sagen, wir gehen jetzt in ganz neue Felder rein und verzahnen das dann mit den etablierten Themen bei uns, das war schon ein großer Schritt – für jeden Einzelnen.“
Werden wir noch gebraucht?
Nicht jedem gefiel der neue Weg: „Quatsch“, „Spielerei“, „bringt nichts“. „Es gab da am Anfang durchaus Vorbehalte; die wurden auch offen geäußert“, erinnert sich Pels. Hinter all dem steckte indirekt die Sorge einiger Ingenieure: Wird ihr Wissen und ihre Erfahrung in Zukunft noch gebraucht? Pels wusste 2003 selbst noch nicht, wie er diese Frage beantworten soll. Eine Strategie, wie er den angestrebten Wandel vorantreiben will, hatte er sich damals noch nicht zurechtgelegt. „Mir war ja auch nicht am ersten Tag klar, dass die Kunst darin liegt, sich untereinander zu verzahnen. Ich musste am Anfang erst mal meinen eigenen Kram auf die Reihe kriegen.“ Denn gute Führung lerne man nicht nur aus Büchern oder in Seminaren.
Mittlerweile kann Pels die Skeptiker beruhigen: Der profitable Elektro-Motor wird seiner Meinung nach noch lange auf sich warten lassen. Und für Hybrid-Fahrzeuge braucht es eben nicht nur Elektro-Techniker und IT-Nerds, sondern auch den guten alten Maschinen-Bauer. Doch auch die mussten sich umstellen, auf die neuen Kollegen einlassen und dazulernen. Bei der Umstellung gelte es vor allem, die mittlere Führungsebene von dem neuen Weg zu überzeugen, sagt Pels: „Wenn sich da ein Konstruktionsleiter querstellt, haben sie dieses Mindset eine Minute später in der gesamten Mannschaft.“
Kommunikation und Transparenz als wichtige Faktoren
Transparenz war für den studierten Fahrzeug-Techniker, der sein Diplom auf der Technischen Hochschule in Köln erworben und später noch einen Master in Betriebswirtschaft draufgesattelt hat, der wichtigste Faktor in diesem Change-Prozess. In aufwändigen Projekten hat sich die Geschäftsführung der Belegschaft gestellt, ihre Ideen erklärt, die neuen Ziele verteidigt und in mehreren Workshops versucht, die Ideen ihrer Mitarbeiter aufzunehmen. „Da gab es in regelmäßigen Abständen Gespräche: Wo stehen wir? Wie bewerten wir die Ideen gegeneinander? Welche Idee schafft es in die nächste Runde, welche nicht – und warum eigentlich nicht? Das war komplett transparent für alle Beteiligten. Und ich glaube, damit haben wir es geschafft, die Mannschaft auf unserem Weg mitzunehmen, aber auch den ganzen Wissensschatz der Mitarbeiter für uns zu heben.“ Für Pels hatte dieser Prozess noch einen weiteren Vorteil: „Damit machen Sie auch jeden mundtot, der sonst vielleicht brummelnd in der Ecke verschwindet und denkt, was die sich da schon wieder ausgedacht haben.“
Erschütterung, alte Strukturen auftauen, neue Dinge ausprobieren, neue Strukturen einführen, einfrieren, weitermachen – klingt wie Change-Management aus dem Lehrbuch. Doch Transparenz alleine hilft nicht. Wenn die Geschäftsführung auf dem Weg zu neuen Zielen die Mitarbeiter überfordert, stellen sie sich quer. Wenn sie zu sehr auf Dialog setzt, könnte bei den Mitarbeitern der Eindruck entstehen, dass die Chefs selbst nicht so genau wissen, wohin die Reise gehen soll. „Das ist vielleicht das schwierigste am Change-Management: diese Gratwanderung. Das kann ganz schnell umschlagen“, sagt Pels. Um das zu verhindern, setzt der Ingenieur auf Kommunikation: „Sie müssen das erklären – und wenn Sie es hundertmal erklären. In Etappen, die Hierarchie-Ebenen runter. Nicht die ganze Firma gleichzeitig, sondern peu à peu jeden mitnehmen – einbinden. Und wenn Sie dann feststellen, da hat jemand eine gute Idee, oder da kommt ein interessanter Aspekt auf, den Sie vorher gar nicht auf dem Schirm hatten, können Sie die Strategie auch ein bisschen korrigieren.“ Das Ziel müsse jedoch jedem zu jeder Zeit klar sein.
Empathie als Schlüssel-Kompetenz
Empathie wird auf diesem Weg zur Schlüssel-Kompetenz für Führungskräfte. Auch bei AVL Schrick gebe es noch Ingenieure, für die ein richtiger Motor ordentlich Krach machen muss. Doch Pels hat die Erfahrung gemacht, dass sich die meisten Menschen öffnen, wenn sie erkennen, welche Chancen der Wandel für den eigenen Arbeitsplatz oder die eigene Karriere bietet. So haben die neuen Elektro-Motoren auch die Arbeit der alten Maschinen-Bauer erleichtert: „Ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor zu beschleunigen, ist beispielsweise sehr aufwändig. In einem Hybrid-Antrieb können sie stattdessen den Elektromotor die Beschleunigungsarbeit machen lassen und den Verbrennungsmotor erst wieder zuschalten, wenn die gewünschte Geschwindigkeit erreicht ist“, erklärt Pels.
Ihm ist es dabei wichtig, seine Mitarbeiter bei ihren Stärken zu packen, denn allzu oft werde in Change-Prozessen auf die Defizite einzelner Kollegen geachtet. Dies sei jedoch der falsche Ansatz. „Das ist aus meiner tiefen Überzeugung totaler Quatsch: Nicht Schwächen ausbessern, um am Ende des Tages irgendeinen Durchschnitt zu erreichen, für den sich niemand interessiert. Sondern nur die Stärken ausbauen und mit diesen Stärken irgendetwas Besonderes schaffen“, sagt Pels. Dass er seine Ingenieure bei ihrer technischen Neugierde packen konnte, spielte im dabei in die Karten. Damit konnte er so manchen „V8-Veteranen“ von den neuen Antriebskonzepten überzeugen und in seine Nerd-Crew integrieren. „Es gibt da leider kein Patent-Rezept oder eine Check-Liste, die man abarbeiten kann.“ Umso wichtiger sei es, dass sich Führungskräfte in ihre Mitarbeiter hineindenken und Fehler zulassen können. Denn letztlich ist es bei den Mitarbeitern wie bei einem guten Fahrzeug: Alles eine Frage des richtigen Antriebs.