„Transparenz ist der Schlüssel zu guter Führung“

Sebastian Esser war schon häufiger der Chef. Anfangs dachte er, es ginge in erster Linie darum, ein Produkt abzuliefern. Mit der Zeit fiel ihm auf, dass Menschenführung auf Augenhöhe die Zufriedenheit der Mitarbeiter erhöht und leistungsfördernd wirkt.

Von Sören Maak-Heß

Herr Esser, auf krautreporter.de werden Sie als Herausgeber in einer alphabetischen Liste mit allen anderen Mitarbeitern aufgeführt. Wie weit her ist es mit der Gleichberechtigung bei den Krautreportern wirklich?

Die „Krautreporter“

starteten 2012 als Crowdfunding-Projekt und hatten schnell genug Geld zusammen, um unter krautreporter.de anspruchsvollen Journalismus zu brennenden Themen wie Armut, Klimawandel oder Mobilität anzubieten. Einige Artikel befinden sich hinter einer Paywall und sind nur Abonnenten zugänglich.

Mittlerweile sind die „Krautreporter“ eine eingetragene Genossenschaft mit 420 Mitgliedern. Man kann Abonnent sein, ohne Genossenschaftsanteile zu zeichnen, und umgekehrt.

Wir sind zwar nicht kommunardenmäßig organisiert, haben aber im Wesentlichen nur zwei Hierarchiestufen und insofern herrscht bei uns vor allem in inhaltlichen Angelegenheiten schon eine große Freiheit. Ich sage respektvoll und klar meine Meinung und das tut auch jeder andere – ohne Angst vor dem Chef.

Welches Bild würden Sie für sich als Chef wählen?

Ich bin nicht „der Papa“ und auch nicht der Kuchen, bei dem die Krümel schweigen. Mit einem postheroischen Managementansatz bin ich bislang gut gefahren. Das bedeutet, dass ich mich weder als Autoritätsperson geriere noch der beste Freund von allen sein will. Es geht mir um inhaltliche und persönliche Fairness.

Beim Medienmagazin V.i.S.d.P., das bis 2006 eine Zeitschrift und bis 2012 ein PDF-Magazin war, waren Sie Chefredakteur. Unterscheidet sich ihr aktueller Führungsstil von dem damaligen?

Damals war ich Redaktionsleiter in einem kleinen Team und meine Hauptaufgabe bestand darin, die Produktion des Heftes sicherzustellen. Führung erschöpft sich aber nicht in der Organisation des Herstellungsprozesses, sondern geht weit darüber hinaus. Ich habe schnell gemerkt, dass dieser stark Output-bezogene Führungsstil nicht zu mir passt. Heute sehe viel stärker den Einzelnen, das Team und den Einzelnen im Team, das zugegebenermaßen natürlich immer noch die Produktion gewährleisten muss. Die Arbeit bei V.i.S.d.P. ist lange her und ich habe inzwischen andere Erfahrungen gesammelt.

„Ich würde im klassischen Printbetrieb als Chef nicht glücklich werden“

Zum Beispiel bei Vanity Fair, einer weltbekannten Zeitschriftenmarke, die zwischen 2007 und 2009 auch auf Deutsch erschien. Führt man in so einem klassischen Medium anders als in einem Start-up?

Auf jeden Fall. Ich würde im klassischen Printbetrieb als Chef nicht glücklich werden. Das liegt mehr an den Strukturen als an den Menschen. Bei Vanity Fair bin ich mit Chefredakteur Ulf Poschard und den Kollegen super ausgekommen. Allerdings ist der Druck ein anderer: Printprodukte haben eine Deadline, Fehler sind nicht rückholbar, wenn sie einmal gedruckt sind. Solche Gegebenheiten führen oft dazu, dass Leute wegen einer schlechten Überschrift oder falsch gesetzten Kommas angeschrien werden.

Und das passiert bei den Krautreportern nicht?

Ich empfinde es als Kompliment, wenn mir unsere Autoren von Angeboten großer Verlage und bekannter Zeitungen berichten, die sie abgelehnt haben – ich erfahre davon im Nachhinein. Das heißt, dass wir ihnen offensichtlich im Vorhinein, im Alltag, wirklich die Bedingungen geboten haben, die sie sich wünschen.

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„Wir setzen auf Freiheit und Transparenz“

Foto: Frank Suffert/Krautreporter

Und die wären?

Am Geld kann es nicht liegen. Wir zahlen mit Sicherheit weniger als die großen Medienhäuser. Aber wir setzen auf Freiheit und Transparenz.

Das sind jetzt auch nur Schlagworte.

Freiheit ist uns sehr wichtig. Wir sind keine Nachrichtenagentur, die jede kleine Neuigkeit abmelden muss, sondern können unsere Themen und Schwerpunkte sehr frei wählen. Bei uns dreht sich viel um Armut, Globalisierung, Mobilität, Gerechtigkeit und Digitalisierung, weil das die Themen sind, auf die es heutzutage wirklich ankommt. Es kann aber auch ein Schwerpunkt hinzukommen. Und wie unsere Autoren die Zusammenhänge schildern, ist sowieso ihr Ding – so lange es bei unseren Kunden verfängt. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass Medien früher mutiger waren. Kürzlich hatte ich eine alte „Weltbühne“ in der Hand. Die war lustiger, schmutziger und unübersichtlicher, als ich es mir vorstellen konnte. Da müssen wir wieder hin. Ich genieße die neuen technischen Möglichkeiten – Krautreporter hat ja auch eine Paywall -, aber inhaltlich bin ich eher Reaktionär als Revolutionär.

„Über den Zustand der Firma wissen die Mitarbeiter stets Bescheid“

Sie erwähnten auch Transparenz als Vorteil des Arbeitgebers Krautreporter. Deswegen hält Ihnen doch niemand die Treue.

Da täuschen Sie sich. Als Chef muss ich meine Version der Zukunft glaubhaft vermitteln. Ich kommuniziere meinen Mitarbeitern sehr deutlich, welche Umsätze wir erzielen und wie viele Abonnenten wir haben. Über die Zeit fällt dann natürlich auch auf, wenn wir Abonnenten verlieren. Wir sprechen auch darüber, wie viele neue Abonnenten wir bräuchten, um einen weiteren Korrespondenten bezahlen zu können. Über den Zustand der Firma wissen die Mitarbeiter stets Bescheid. Auch eine Jahrzehnte alte Zeitung bietet heute keine absolute Sicherheit mehr. Und wenn dann noch die Transparenz fehlt, bleiben die Leute lieber bei uns.

Was bringt die Transparenz Ihnen als Führungskraft?

Die Transparenz hat mir immer beste Dienste geleistet, weil es eine klare Vorgabe ist. Ausreden und Lügen sind tabu. Die wichtigsten Menschen sind immer informiert – über das Unternehmen, aber auch darüber, was ich von ihnen erwarte und wie ich ihre Leistung einstufe. Transparenz schützt einen – vorausgesetzt, man zieht sie durch.

Wo endet die Transparenz? Sie verraten mir auf Nachfrage wahrscheinlich nicht die Abonnentenentwicklung im letzten Quartal?

Ich habe grundsätzlich nichts zu verbergen, aber natürlich habe ich es mit unterschiedlichen Stakeholdern zu tun. Da wären neben den Mitarbeitern und der Presse ja auch noch die Leser und unsere Genossenschaftsmitglieder. Ich bin sehr offen. Aber während Mitarbeiter ungefragt Interna erfahren und ich mich da in einer Bringschuld sehe, wäge ich die externe Kommunikation unserer Kennzahlen erst einmal ab.

Transparenz wäre also Ihr Geheimtipp für junge Führungskräfte?

Neben allen berechtigten Standardtipps wie der Fähigkeit zuzuhören, dem Mut zum Neuen oder der Toleranz für Fehler, ja – Transparenz ist der Schlüssel zu guter Führung.

Titelbild: Martin Gommel

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