„Größer als der Cicero“

Greifswald – Medienstadt? Benjamin Fredrich, Gründer des Magazins „Katapulte“ berichtet über die Erfolgsstory seines Start-ups und eine neue Form des Journalismus mit neuen Anforderungen an Mitarbeiter und Führungskräfte.

Von Stephan Balling

Herr Fredrich, Sie waren freier Journalist bei der TAZ und beim Neuen Deutschland. 2013 haben Sie das Katapult-Magazin gegründet und mittlerweile sechs feste Mitarbeiter, dazu kommen mehrere freie Mitarbeiter. Wie ist es für Sie, Chef zu sein?

Ich habe Katapult damals zusammen mit drei Freunden gegründet. Wir wollten damals, dass jeder von uns gleich berechtigt sein sollte. Nach zwei oder drei Monaten merkten wir dann, dass das nicht funktioniert. Eigentlich wollte ich die Rolle des Chefs nicht, aber hätte ich das nicht gemacht, wäre das Projekt wohl gescheitert.

Sind damals Freundschaften kaputt gegangen?

 Ja. Sobald man nicht mehr auf Augenhöhe arbeitet, besteht die Gefahr, dass Freundschaften kaputt gehen. Das war bei uns der Fall.

 Und wie ist es heute für Sie, die Führungsrolle auszufüllen?

 Das hat sich mittlerweile gut eingespielt. Ich bin in der Rolle durchaus angekommen.

„Wir mussten erstmal eine Ideen- und Selbstfindungsphase durchlaufen“

Brachte die Trennung von anderen Gründern auch rechtliche Auseinandersetzungen mit sich?

Nein. Rechtlich war ich von Beginn an der alleinige Gründer. Inhaltlich lag mein Anteil beim Aufbau des Magazins von Anfang an bei 80 bis 90 Prozent. Ich wollte damals schon Streit vermeiden, sollte es dazu kommen, dass der ein oder andere aussteigen will.

Das war auch im Nachhinein gesehen offensichtlich die richtige und vorausschauende Entscheidung?

 Ja.

Was würden Sie rückblickend anders machen? Hätte es vielleicht geholfen, von Anfang an klarere Rollen zuzuweisen?

 Redaktionell gesehen war das kaum möglich. Wir mussten ja erstmal eine Ideen- und Selbstfindungsphase durchlaufen. Sicher, wir hätten früher Strukturen und Rollen klären können. Aber als klar wurde, dass wir so nicht arbeiten können, haben wir auch schnell reagiert.

Was war denn die Idee? Was bedeutet Katapult?

Katapult ist eigentlich ein Anti-Name, ein Kontrapunkt zu den meist sehr offiziell klingenden Titeln üblicher wissenschaftlicher Fachzeitschriften in den Sozial- und Politikwissenschaften, wie die „Politische Vierteljahresschrift“. Ich schätze diese Magazine. Sie richten sich aber allein an ein wissenschaftliches Fachpublikum. Wir wollen deren Inhalte einer breiteren Bevölkerung zugänglich machen. Der Name sollte einfach sein und Dynamik ausdrücken.

„Wir wollen wissenschaftliche Texte in eine einfachere Sprache übersetzen“

„Magazin für Kartografik und Sozialwissenschaft“ lautet die Subheadline von Katapult. Das klingt nach Datenjournalismus.

 Ja, das gehört dazu. Das wichtigste ist aber, dass unsere Mitarbeiter wissenschaftlich arbeiten können. Sie müssen in der Lage sein, Studien zu verstehen. Wir wollen wissenschaftliche Texte in eine einfachere Sprache übersetzen. Insofern verstehen wir uns als Wissenschaftler und auch als Journalisten zugleich.

Arbeiten Sie mit freien Mitarbeitern?

Viele unserer Texte stammen von Wissenschaftlern, die als freie Autoren oder Gastautoren für uns schreiben. Dazu liefern sie uns ihre Daten, die wir dann aufbereiten und ansprechend für eine breite Leserschaft darstellen. Das ist letztlich ein Tauschgeschäft: Die Autoren schreiben für uns einen Artikel, dafür dürfen sie die von uns für ihre Texte erstellten Grafiken und Karten für eigene weitere Publikationen verwenden. Dazu kommen eigene Texte, die wir selbst verfassen.

 Viele junge Journalisten streben eine Festanstellung als Redakteur an in einem großen Medienunternehmen an. Was raten Sie?

Ich rate davon ab, allein eine Karriere bei einem großen Medienhaus anzustreben. In der Findungsphase am Beginn des Berufslebens lässt sich in einem kleinen Unternehmen mit fünf bis 15 Mitarbeitern viel mehr lernen als in einer großen Redaktion, in der man vielleicht nur in einem Ressort mit einem festen Bereich arbeitet.

Sie selbst haben bisher vor allem für linke Medien geschrieben. Ist die politische Gesinnung wichtig für einen Job bei Ihnen?

Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, die eigenen politischen Meinungen sollten keine Rolle spielen. Wir verstehen uns ja als Übersetzer wissenschaftlicher Beiträge in eine allgemeinverständliche Form. Mittlerweile dürften sich in der Redaktion auch alle politischen Farben finden, mit Ausnahme der AfD.

„Es reicht nicht, gut schreiben zu können“

Welche Fähigkeiten muss ein Bewerber bei Ihnen mitbringen?

Wer zu uns kommt und gerade einen Master in einem sozialwissenschaftlichen Fach abgeschlossen hat, dem fehlt in der Regel eine Spezialisierung. Für uns ist wichtig, dass die Bewerber mit einem Grafikprogramm umgehen können, ein Datenprogramm beherrschen oder programmieren können. Es reicht nicht, gut schreiben zu können. Erst kürzlich haben wir einen Praktikanten direkt in eine Festanstellung übernommen, der neben einem abgeschlossenen Politik-Studium eine Qualifikation als Geoinformationsanalyst vorweisen konnte. Den Umgang mit Office oder Excel setze ich ohnehin voraus.

Wie schwer ist es, Mitarbeiter mit diesen drei Fähigkeiten zu bekommen: wissenschaftliches Arbeiten, Datenaufbereitung und journalistisches Handwerk?

Das ist nicht einfach. Kaum jemand beherrscht alle drei Fähigkeiten. Wir suchen also vor allem nach Personen, die zumindest zwei dieser genannten Kompetenzen mitbringen. Bisher konnten wir für jede Stelle einen guten Bewerber finden. Das erfordert allerdings etwas Geduld.

Sie sitzen in Greifswald, ein Standortnachteil?

Anfangs hatten wir die Sorge, dass wir damit als Arbeitgeber wenig attraktiv sein würden. Diese Sorge hat sich allerdings als überhaupt nicht gerechtfertigt erwiesen. Wir haben unterm Strich ausreichende und gute Bewerbungen. Greifswald ist eine perfekte Urlaubsregion. Die Stadt liegt auf halbem Weg zwischen Berlin und Hamburg. Wer nach Feierabend surfen gehen will, ist hier richtig.

Warum Greifswald, und nicht Berlin?

 Wir haben das Katapult-Magazin damals als Studenten gegründet und nutzen bis heute den engen Kontakt zur Universität. Das war gerade am Anfang sehr wertvoll. Dazu kommt, dass Greifswald eine sehr aufstrebende Stadt ist und viele der Probleme, die weite Teile Mecklenburg-Vorpommerns plagen, nicht hat. Die Arbeitslosigkeit ist geringer, die Universität ist extrem stark und es gibt eine Reihe anderer Start-ups, mit denen wir auch gut kooperieren können oder uns austauschen können. Ich empfinde den Lebensstandard hier als enorm hoch, was zum Teil sicher auch daran liegt, dass ich selbst kein Großstadt-Mensch bin.

Wie zufrieden sind Sie mit der wirtschaftlichen Entwicklung von Katapult?

Die Entwicklung hat all unsere Vorstellungen um ein Vielfaches übertroffen. Gerade konnten wir die Marke von 10.000 Abonnenten knacken. Wirtschaftlich geht es uns so gut, dass wir pro Jahr zwei bis drei neue Mitarbeiter einstellen können.

„Ich selbst zahle mir bisher kein Gehalt aus“

Wie lautet Ihr Ziel?

Wir wollen eine stärkere Auflage und größere Reichweite erreichen als der Cicero. Online haben wir den Cicero schon überholt, allerdings investieren wir auch deutlich mehr in unser Angebot im Netz. Was die gedruckte Auflage angeht, ist der Cicero noch drei Mal größer als wir. Diesen Vorsprung wollen wir in den nächsten zwei Jahren aufholen. Wenn wir das erreichen, sind wir aber kein ganz kleines Unternehmen mehr. Dann brauchen wir eine neue Strategie und möglicherweise auch eine neue Struktur.

Kerngeschäft bleibt das gedruckte Magazin, dessen Inhalte sie aber auch komplett online stellen und dabei auf freiwillige Zahlungen setzen?

Ja, aber wir starten jetzt auch mit Sonderausgaben und Buchprojekten. Dazu arbeiten wir beispielsweise mit dem Hoffmann und Campe Verlag aus Hamburg zusammen.

Ihr Unternehmen ist eine gemeinnützige GmbH. Heißt das, Sie arbeiten ehrenamtlich?

 Ich selbst zahle mir bisher in der Tat kein Gehalt aus. Das wird sich demnächst aber ändern. Gemeinnützigkeit bedeutet vor allem, dass wir keine Gewinne an die Anteilseigner ausschütten dürfen. Unsere Gewinne nutzen wir für Investitionen ins Unternehmen. Ein Vorteil besteht darin, dass wir Geldgebern, die uns unterstützen wollen, Spendenbescheinigungen ausstellen dürfen. Allerdings ist der Anteil der Spenden an unseren Einnahmen sehr gering. Der Großteil stammt aus den Abo-Erlösen der Printausgabe von jährlich 19,90 Euro.

Wie finanzieren Sie Ihren Lebensunterhalt, wenn Sie sich selbst bisher kein Gehalt ausgezahlt haben?

Ich bin derzeit Stipendiat der Landesgraduiertenförderung Mecklenburg-Vorpommern und schreibe an meiner Dissertation. Den Großteil meiner Zeit verwende ich entsprechend auch für meine Promotion. Katapult ist noch eine Nebentätigkeit.

„Ich probiere viel aus“

Eine Nebentätigkeit, bei der Sie Verantwortung für mehrere Mitarbeiter tragen. Haben Sie sich auf diese Führungsrolle vorbereitet? Beschäftigen Sie sich mit Führungsfragen?

Ja. Ich habe das ein oder andere Buch zu dem Thema gelesen. Vor allem aber suche ich Rat in der Familie und bei Bekannten, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich oder schon länger Führungsaufgaben wahrnehmen. Ich tausche mich auch mit Geschäftspartnern aus, mit großen Firmen und Stiftungen, mit denen wir kooperieren. Und ich probiere viel aus.

Haben Sie Vorbilder – Unternehmer, Publizisten oder Führungskräfte?

Eher aus dem Sport. Mein Vater ist Übungsleiter in der Leichtathletik. Ich selbst bin auch Leichtathlet. In diesem Bereich gibt es viele Ansätze und Methoden, etwa was die Motivationsarbeit angeht. Da lässt sich viel in ein Start-up übertragen.

Wie sehr reizt es Sie selbst, nochmal für ein größeres Medium zu schreiben, und vielleicht den Leitartikel oder Kommentar zu verfassen, der die politische Welt aufrüttelt?

 Das reizt mich derzeit  nicht. Der politische Kommentar war auch nie mein bevorzugtes Genre.

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