Markus Weins hat ein Geschäftsmodell für Fachverlage entwickelt, eine gute berufliche Stelle aufgegeben und den Gang in die Selbständigkeit gewagt. Seine Mitarbeiterinnen sollen unternehmerisch denken – und müssen regelmäßig zum Thema Selbstmanagement referieren.
Von Stephan Balling
Herr Weins, 2015 haben Sie den Verlag Freie Fachinformationen (FFI) gegründet. Was hat Sie dazu bewogen, mit fast 50 eine sichere und vermutlich gut bezahlte Führungsposition beim Deutschen Anwaltsverlag aufzugeben und Unternehmer zu werden?
Ich wollte nach mehr als 15 Jahren als Angestellter in zwei Fachverlagen noch einmal mein eigener Chef sein, wie schon einmal zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn als selbständiger Werbetexter. Außerdem war ich sechs Jahre beim Anwaltsverlag. Ein Wechsel alle fünf Jahre tut jedem gut. Dazu kam, dass meine Kinder heute für sich selbst sorgen können. Als Selbständiger konnte ich nicht mit steten Einnahmen rechnen. In manchen Jahren sprudelten die Erlöse, in manchen war die Auftragslage etwas mager. Damit lässt sich gut leben, wenn man nur für sich sorgen muss. Als Familienvater war es dann aber natürlich wichtig, regelmäßig ein gesichertes Einkommen zu haben. Nun sind die Kinder groß und aus dem Haus, und da sind meine Frau und ich zu dem Schluss gekommen, dass ich das Risiko der Selbstständigkeit wieder eingehen kann.
Was kam zuerst: die Idee, die FFI zu gründen, oder der Wunsch nach der Selbstständigkeit?
Das Geschäftsmodell der FFI habe ich letztlich beim Anwaltsverlag entwickelt und dort auch schon erfolgreich umgesetzt. Dieses Konzept wollte ich auf die Zielgruppe der Steuerberater ausweiten. Der Wunsch wieder selbstständig zu sein und die eigene Vorstellung eines Fachverlages umsetzen zu können, war die Basis für das Geschäftsmodell des FFI Verlags.
„Der Kerngedanke lautet: Konsequente Orientierung am Leser“
Wie funktioniert das Geschäftsmodell?
Der Anwaltsverlag richtet sich wie der Name sagt vor allem an Anwälte. Die Idee war, neue Gesetze oder andere rechtliche Vorgaben von freien Fachautoren und Experten relativ kurz – das heißt auf maximal 20 Seiten – zusammenfassen zu lassen. Diese Inhalte werden dann kostenlos an Anwälte und auch Steuerberater verbreitet und über Werbeanzeigen finanziert. Dieses Geschäftsmodell habe ich für FFI auf weitere Zielgruppen erweitert, insbesondere Steuerberater und Ärzte. Wir publizieren die Inhalte als frei zugängliches kostenfreies PDF oder in Form einer eigenen Website. Zugleich versuchen wir die Unternehmen, die bei uns Anzeigen schalten, als langfristige Partner zu gewinnen. Zur Finanzierung unseres Geschäftsmodells suchen wir gezielt nach Partnern, deren Produkte zu den Inhalten unserer Publikationen passen. Beispiel: Wenn wir über Aktenvernichtung schreiben, stellt eine Werbeanzeige von einer Firma, die entsprechende Aktenvernichter herstellt, die genau passende Lösung zu dem besprochenen Problem dar. Oder wenn wir über das Thema Berufshaftung berichten, ergibt eine Anzeige einer Versicherung Sinn. Der Kerngedanke aber lautet: Konsequente Orientierung am Leser und seinen Bedürfnissen. Wir wollen unseren Lesern den Beruf erleichtern und unseren Partnern zum Erfolg verhelfen.
Letzteres behaupten wahrscheinlich die meisten Publizisten von sich.
Das ist wohl richtig, aber die meisten Unternehmen schauen zu sehr auf Rendite und Umsatz, sind also zahlengetrieben. Das ist legitim, und natürlich möchten auch wir profitabel arbeiten. Aber ich halte eine andere Perspektive für besser. Die Frage ist nicht zuerst, was sich verkaufen lässt, sondern wie wir dem Anwalt oder Steuerberater helfen können, seinen Job besser zu machen. Dazu müssen Sie wissen, was die Leser brauchen, was deren Sorgen und Nöte sind. Um das herauszufinden, starten wir beispielsweise regelmäßig Umfragen auf unserer Website kanzleiumfrage.de. Mich prägt dabei das 3×3-Konzept von Winfried Ruf, einem renommierten Berater und Experten für Fachverlage. Das Konzept stellt die absolute Leser-Orientierung in den Mittelpunkt.
Das sollte eigentlich normal sein für Medienhäuser, oder?
Sollte es, ja, ist es aber nicht. Ich kenne viele Verlage, da läuft es so: Ein Autor liefert ein Manuskript, der Lektor, Redakteur oder Produktmanager liest es, befindet es für gut, produziert es und wirft es seinen Marketing-Leuten auf den Tisch. Die sollen es dann verkaufen. Da fragt niemand, ob es für diesen Inhalt einen Bedarf gibt, wer zur Zielgruppe gehört. Viele große Fachverlage sind zudem so stark mit ihren internen Prozessen beschäftigt, dass sie kaum Zeit finden, mit ihren Lesern zu kommunizieren.
„Meine Aufgabe besteht vor allem im Vertrieb“
Wie vertreiben Sie Ihre Publikationen?
Alle Broschüren lassen sich online gratis herunterladen. Vor allem aber verbreiten wir über Unternehmen wie z. B. Fachbuchhandlungen oder Organisationen wie örtliche Berufsverbände, die unsere Publikationen dann ihren Kunden bzw. Mitgliedern gratis zur Verfügung stellen.
Sie kommen aus dem Verlagsmanagement. Welche Rolle spielt Journalismus für Sie?
Ich habe zwei Mitarbeiterinnen, eine ausgebildete Redakteurin, die Online-Journalismus sowie Medien- und Kulturwissenschaften studiert hat, und eine Volontärin, die ihr Studium mit einem Staatsexamen in Deutsch und Englisch abgeschlossen hat. Die beiden verantworten das Produkt- und Redaktionsmanagement, von der Themen- über die Autorensuche bis zur Steuerung der Graphiker und Lektoren. Meine Aufgabe besteht vor allem im Vertrieb.
Anwaltsverlag – das klingt nach konservativen Strukturen und nach Hierarchie. Wie sehr schätzen Sie, dass Sie nun nur noch ein kleines Team von zwei Mitarbeitern leiten?
Meine Zeit beim Deutschen Anwaltverlag möchte ich auf keinen Fall missen. Wir hatten in der Marketingabteilung extrem viel Freude und bei aller Bescheidenheit sehr gute Erfolge. Wir hatten jederzeit die volle Unterstützung der Geschäftsleitung in Person von Uwe Hagemann und nie das Gefühl, unter starren, hierarchischen Strukturen zu leiden. Ganz im Gegenteil.
Trotzdem der Wechsel. Warum?
Die Rückkehr in die Selbständigkeit war schon eine gewisse Befreiung. Große Unternehmen funktionieren nun mal nur mit Hierarchien. Es muss klar sein, wer welche Verantwortung trägt. Diese Strukturen führen aber auch dazu, dass sehr viel Organisationsaufwand nötig ist. Wie viel Zeit habe ich in Sitzungen verbracht! Die Hälfte meines Kalenders war mit Meetings gefüllt. Wenn man diese Sitzungen noch ordentlich vor- und nachbereitet, bleibt überhaupt keine Zeit mehr, um zu arbeiten. Das ist in einem Startup natürlich völlig anders.
„Wenn es sich so weiterentwickelt, bin ich zufrieden“
Hatten Sie Angst, zu scheitern?
Nein. Und selbst wenn: Was kann denn schon passieren? In Deutschland muss niemand verhungern, selbst wenn etwas schiefgeht. Sicher, vielleicht rutscht man aus seiner Komfortzone, wenn es finanziell eng wird. Aber ich hatte auch keine Angst zu scheitern, weil ich mich sehr gut und analytisch vorbereitet habe und einen soliden Businessplan hatte.
Wie haben sich Ihre Einnahmen denn so entwickelt?
Wir konnten vom ersten Jahr an schwarze Zahlen schreiben. Wir sind jetzt im vierten Jahr und konnten jedes Jahr einen Umsatzzuwachs erzielen. Natürlich haben wir auch Personal aufgebaut und die Kosten gesteigert. Wenn es sich so weiterentwickelt, bin ich zufrieden. Es reicht, um zu leben. Unterm Strich bleibt mir jetzt netto in etwa der gleiche Betrag wie zuvor beim Anwaltsverlag, nur, dass ich eben mein eigener Chef bin. Und ich hoffe natürlich, dass die Einnahmen noch steigen.
Was sind Ihre Wachstumsziele?
Ich verfolge keinen bestimmten Plan. Derzeit sieht es aber so aus, dass wir unser Personal weiter aufstocken müssen. Die Gefahr eines Wachstumsprozess lauert jedoch darin, dass laufende Projekte und Produkte an Aufmerksamkeit verlieren. Das wollen wir verhindern.
Sie führen jetzt zwei Mitarbeiterinnen. Für wie viele Personen hatten Sie in ihren früheren Positionen Verantwortung?
Beim Anwaltsverlag haben wir aufgrund der Entwicklungen fast jedes Jahr ausgebaut: Von anfänglich drei auf acht Mitarbeiter nach sechs Jahren in meinem Bereich.
„Die Persönlichkeit eines Kandidaten spielt eine sehr große Rolle“
Haben Sie in der Hierarchie anders geführt als im Start-up? Waren Sie dort mehr Chef und sind hier mehr Kumpel?
Als Inhaber und Geschäftsführer habe ich eine Rolle, und meine Mitarbeiterinnen haben eine andere Rolle. Ich gebe beispielsweise die Strategie vor. Wichtig ist, dass ich es schaffe, die Mitarbeiter auszubilden und weiterzuentwickeln. Ziel ist, dass sie Freude an der Arbeit haben, Stolz auf Erfolge sein können und ihren Bereich eigenständig und autark verantworten können.
Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, wenn Sie neue Mitarbeiter einstellen?
Ausschlaggebend sind Interesse, Engagement und Kreativität. Diese Faktoren zählen mitunter mehr als ein Fachstudium. Ich führe bei der Stelle, die ich zu besetzen habe, mindestens zehn Bewerber-Interviews. Bewerbungsunterlagen erlauben nur ein eingeschränktes Urteil. Die Persönlichkeit eines Kandidaten spielt eine sehr große Rolle. Außerdem habe ich gelernt, dass Bewerber, die im ersten Gespräch eher ruhig erscheinen, im Job dann durchaus performen können. Die Gefahr in einem Bewerbungsgespräch ist, dass man auf die Lautsprecher hereinfällt. Wer sich gut verkaufen kann, ist aber noch lange nicht der beste oder schlaueste. Nur jeder zehnte Wein ist richtig toll. Wer den tollsten Bewerber gewinnen will, muss mit mindestens zehn Kandidaten sprechen.
Haben Sie sich theoretisch mit Führungsfragen beschäftigt?
Ja, von Anfang an. Theoretisch und praktisch. Egal ob als Abteilungsleiter oder als Geschäftsführer. Sie haben immer eine Riesenverantwortung für die Mitarbeiter. Und diese Verantwortung kann sowohl sehr belastend als auch extrem schön sein. Wenn es gelingt, Mitarbeiter weiterzuentwickeln und zu sehen, wie sie Spaß am Beruf und am Erfolg entwickeln und man sich einbilden darf, ein Stück weit dazu beigetragen zu haben, dann ist das rückblickend ein sehr, sehr schönes und erfüllendes Gefühl.
„Selbstmanagement zu lernen ist ein permanenter Prozess“
Welche Vorbilder haben Sie?
Da fallen mir spontan drei Menschen ein. Mirza Hayit, der mich beim Rudolf Mueller Verlag eingestellt hat und heute Vertriebsleiter bei Haufe-Lexware ist. Von ihm habe ich gelernt, dass man sich selbst nicht zu wichtig nehmen darf und dass Erfolg im Beruf sehr viel Spaß machen kann. Von Evelyn Hagemann, meiner zweiten Chefin beim Rudolf Mueller Verlag, habe ich gelernt, konzeptionell zu denken und zu arbeiten. Bewundert habe ich darüber hinaus den bereits erwähnten Winfried Ruf. Sein 3×3-Konzept nutze ich noch heute regelmäßig.
Was raten Sie jungen Leuten, die vor dem Sprung in eine Führungsposition stehen?
Sich der Verantwortung bewusst zu sein. Möglichst analytisch und strukturell vorzugehen. Mutig zu sein und optimistisch. Sich an den Bedürfnissen der Kunden orientieren und nicht den eigenen Profit zum Ziel zu haben. Von Anfang an einen gesunden Ausgleich zwischen Beruf und dem Privatleben anzustreben. Spaß zu haben.
Wie schafft man das?
Das erfordert Schulung. Jeder neue Mitarbeiter bekommt von mir das Buch „Zeitgewinn durch Selbstmanagement“ von Martin Scott. Einmal pro Woche muss der Kollege dann 15 Minuten über ein Kapitel referieren. Das hält mich selbst wach und das Team lernt etwas. Selbstmanagement zu lernen ist ein permanenter Prozess.